Generalsekretärin Nadja Lüders zur Frage, wie wir die Analyse der Landtagswahl nutzen, um neu durchzustarten.
Zaudern bei Waffenexporten, langweiliges TV-Duell, zu bunte Plakate – für das schlechte Wahlergebnis von 27% bei der Landtagswahl gibt es in der Breite der NRWSPD viele Erklärungen. Was gibt die Analyse des Wahlergebnisses bislang her?
Ich habe zunächst einmal sehr genau hingehört, was unsere Mitglieder nach dieser Wahl bewegt hat. Der Umgang miteinander direkt nach der Wahl hat gutgetan, weil allen eigentlich klar war, dass es den einen Grund nicht gibt. Wir haben die unterschiedlichen Thesen, was uns auf Platz 2 geführt hat, alle zusammengetragen. Da kommt man auf 60 bis 70 unterschiedliche Vermutungen. Manches zielt auf strukturelle Herausforderungen, die nicht erst seit 2017 bestehen. Aus diesen ganzen Vermutungen galt es eine Idee für eine Analyse zu entwickeln, auf deren Basis wir dann mit dem Landesparteitag im kommenden Jahr auch wirklich Verbesserungen durchsetzen.
Was bringt diese Idee mit sich?
Zunächst einmal bringt die Ausarbeitung viele schlaflose Nächte mit sich. Es sind schwierige Zeiten gerade und die Menschen erwarten eine SPD, die jetzt liefert und sich nicht nur mit sich selbst beschäftigt. Gleichzeitig müssen wir genau deshalb besser werden und dabei kann die Analyse helfen. Dafür hat der Landesvorstand eine eigene Steuerungsgruppe eingerichtet, in der neben mir unser Landesvorsitzender, unsere fünf stellvertretenden Vorsitzenden, unser Schatzmeister und unser neuer Landesgeschäftsführer Stefan Kämmerling den Analyseprozess steuern. Bis zum Landesparteitag werden wir anhand von fünf Säulen diese Analyse voranbringen. Die fünf Leitfragen: Was lernen wir aus den vorhandenen Fakten? Wie schaffen wir eine breitere Faktenlage? Waren unsere Inhalte richtig? Waren die Gewerke der NRWSPD kampagnenfähig? Wie positionieren wir uns besser in der vorhandenen Medienlandschaft?
Dann gehen wir diese Fragen einmal durch. Was zeigt das Wahlergebnis noch, außer dass man verloren hat?
Dass die niedrige Wahlbeteiligung schockierend war und bei uns ins Kontor geschlagen hat, ist allgemein bereits am Tag der Wahl klar gewesen. Das braucht eine gesonderte Auswertung. Aber das Ergebnis gibt viele weitere Details her, wenn man genau hinschaut. Ein Beispiel: Nach der Briefwahlphase – bei der wir fast elf Prozent hinten lagen – war die Messe bereits gelesen. Da frage ich mich, wie demokratisch es ist, wenn ein TV-Duell erst drei Tage vor der Wahl stattfindet und ob wir das noch einmal so mitmachen. Das Wahlergebnis ergibt uns im Kleinen viele wertvolle Hinweise. In der Vergangenheit haben wir die nicht immer so genau herausgearbeitet. Das machen wir dieses Mal anders.
Die Wahlergebnisse sind das eine. Wo braucht es mehr Ursachenforschung?
Da geht’s dann im Speziellen um die Wahlbeteiligung und auch da müssen wir unterscheiden. Es gibt eine über Jahre gewachsene Wahlenthaltung. Hierzu gibt es bereits einige wissenschaftliche Hinweise, worin diese begründet ist und was das für die SPD bedeutet. Aber es gibt noch eine andere Gruppe, deren Nichtwahl letztendlich dazu führte, dass Umfragen und Wahlresultat so weit auseinander lagen. Das sind diejenigen, die sich speziell in den Wahlwochen ins Private zurückgezogen haben. Eine erste Befragung zeigt, dass vor allem Wähler*innen, die uns eigentlich politisch nahestehen, bewusst darauf verzichtet haben, Nachrichten zu schauen. Interessanterweise waren das vor allem Jüngere. Nach den beiden Corona-Jahren haben wir die Sorgen, die sich aus Russlands Angriff auf die Ukraine ergaben, als SPD nicht genügend aufgreifen können. So hat sich zur Landtagswahl kaum jemand für Landesthemen interessiert. Unsere Aufgabe für die kommenden Wochen lautet: Wie gewinnen wir das Vertrauen dieser Erst-Nichtwähler*innen zurück? Wie können wir zukünftig besser auf Krisen reagieren?
Gibt es dazu weitergehende Hinweise?
Klar. Eine Partei wie die SPD muss die großen gesellschaftlichen Fragen, die wirklich alle bewegen, permanent neu für sich beantworten. Was die Frage von Krieg und Frieden oder Russland angeht, habe ich auf allen Ebenen keine große Debatte wahrgenommen. Das ist in der Partei Willy Brandts, in die genau wegen seiner Außenpolitik viele eingetreten sind, zur Spezialangelegenheit verfallen – mit Spezialisten, die in ihren Einschätzungen fatal daneben lagen. Da ist es dann auch kein Wunder, dass wir bei einem Kriegsausbruch nur vermindert sprachfähig waren. Wir brauchen mehr Leben in der Bude – im echten Leben abseits von Twitter. Gilt das Aufstiegsversprechen noch? Was verstehen wir heute unter Arbeit? Wie positionieren wir uns selbstbewusst zum Klimaschutz? Wie organisiert man gesellschaftlichen Respekt? Wir müssen im anständigen Miteinander dazu besser streiten. Und dazu werden wir in den kommenden Wochen einen Aufruf starten und Veranstaltungen organisieren. Die SPD ist keine VHS und kein Kegelclub, sondern eine politische Partei.
Warum ist dies vor dem und im Wahlkampf nicht organisiert worden?
Das Zusammenspiel hat nicht immer funktioniert und ja, auch die Kampagne hat nicht gezündet. Das ist offensichtlich. Die spannende Frage ist doch: Wieso? Bei der Suche nach den Gründen warne ich vor allzu einfachen Antworten. Es sind Fehler in der Zentrale, es sind aber auch Fehler vor Ort gemacht worden. Wenn der Spitzenkandidat auf öffentlicher Tour ist, vor Ort aber ein nicht-öffentlicher Termin organisiert wird, dann können wir uns das so kurz vor der Wahl auch schenken. Andererseits war die Arbeit in der Geschäftsstelle auf zu wenige Schultern verteilt. Mit der Berufung eines Landesgeschäftsführers haben wir hier eine erste Gegenmaßnahme zur Besserung ergriffen. Aber wir müssen darüber hinaus genau hinschauen: Wann wurde wo genau etwas falsch entschieden und was lernen wir daraus? Dafür sprechen wir schon seit Wochen mit Mitgliedern, Kandidierenden, mit Mitarbeitenden, mit allen politischen Verantwortlichen. Und da wir ordentlich miteinander umgehen, nehmen wir uns dafür auch die notwendige Zeit, um wirkliche Verbesserungen umsetzen zu können. Aber auch um zu klären: Was können wir und was können wir mit den vorhandenen Ressourcen nicht mehr leisten?
Du hast vier Säulen der Analyse genannt: Was ist die Fünfte?
Die Kommunikation. Was hat im Zusammenspiel mit externen Dienstleistern funktioniert und was nicht? Wie haben wir uns medial präsentiert? Welche Möglichkeiten haben wir als SPD in der heutigen Presselandschaft? Auch hier erarbeiten wir Antworten, die es verdient haben, als solche bezeichnet zu werden. Dafür führen wir mit Beteiligten Interviews, transkribieren das und werten Gespräche aus. Auch das nimmt Zeit in Anspruch. Was wir da aber schon jetzt immer wieder hören: Wir haben uns nach der Wahlniederlage 2017 zu lange mit uns selbst beschäftigt. Das hat schon vor der Wahlkampagne dazu beigetragen, dass wir außerhalb von Düsseldorf politisch nicht ausreichend wahrgenommen wurden. Wir dürfen entscheidende Fragen nicht erst im letzten Jahr der Legislaturperiode klären.
Das ist ein umfangreiches Programm, das bis zum Landesparteitag im Frühjahr abgearbeitet werden muss. Als Generalsekretärin stehst Du hier in der Partei besonders im Fokus. Wie nimmst Du das auf?
Das liegt in meiner Jobbeschreibung. Ich könnte es mir auch leicht machen und einfach drei, vier Forderungen heraushauen, die aber nicht zueinander passen oder umsetzbar sind. Diesen Weg sind wir nach der verlorenen Landtagswahl 2017 gegangen und der hat uns erst recht ins Chaos geführt. Schonungslose Analyse heißt Liebe zum Detail. Und wirklicher Wille zur Veränderung bedeutet Arbeit. Ich habe diesen Wahlkampf mitorganisiert, an mir nagt täglich die Frage, warum wir verloren haben. Dass es zukünftig besser läuft, liegt mir am Herzen und deswegen möchte ich diese Analyse ordentlich und glaubwürdig angehen. Zum Landesparteitag werden wir einen Rahmen für eine bessere NRWSPD vorlegen.