SPD vor Ort in Duisburg: Marxloh – Spaziergänge durch die „No-Go-Area“

Das Bild von Duisburg-Marxloh wird von vielen geprägt, die den Stadtteil nie besucht haben. Claus Lindner, stellvertretender Bezirksbürgermeister im Stadtbezirk Hamborn hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, die Vorurteile abzubauen und bietet regelmäßig Stadtrundgänge durch Marxloh an.

Der Blick auf die Karte verheißt eine ordentliche Anordnung von Wohnblöcken und Straßen mit vertrauten Namen wie Kaiser-Friedrich-Str. und Elsa Brandström-Str. Doch das Bild, das die Medien zeichnen, ist ein anderes. Marxloh gilt bundesweit als No-Go-Area, ein sozialer Brennpunkt. Aber was ist dran an den Vorurteilen?

Vorurteile, die Claus Lindner vor einigen Jahren dazu gebracht haben, das Gegenangebot auszurufen: „Ich wollte den Leuten, die nur über Marxloh reden, meist schlecht, zeigen wie es hier wirklich ist und hab sie eingeladen.“

Der Ruf ist schlecht, das Bild ist klar. „Die SPD hat den Stadtteil aufgegeben“

Aus diesen immer häufiger ausgesprochenen Einladungen, denen tatsächlich rege nachgegangen wird, entstehen die Stadtrundgänge, die Lindner inzwischen 2-3 die Woche durchführt, ehrenamtlich. August-Bebel-Platz, Jubiläumshain, bisschen lecker was essen bei  „Peter Pomms Pusztetten Stube“, vorbei an der 2008 eröffneten Moschee, durch die Brautmodenmeile und natürlich einmal übers Pollmannkreuz. Hinterhöfe, Medienbunker, Lindners Repertoire ist vielseitig.

Auch heute kommen die Turnschuhe noch zum Einsatz, aber erst mal unterhalten wir uns in Ruhe in seiner großzügigen Erdgeschosswohnung mit den hohen Decken, hinten raus der Blick ins Grüne. Ein kleiner Ausflug in die Außenwelt, mal eben was einkaufen, das kann bei Lindner nämlich schon mal 4-5 Stunden dauern. Denn auf seinen Wegen kommt er ins Gespräch. Mit Genossinnen, mit Händlern, mit Zuwanderern aller Generationen und Einwanderungswellen. Und wenn noch der sozialdemokratische Oberbürgermeister Sören Link dabei ist oder Bundestagsabgeordneter Mahmut Özdemir, dann dauert der Spaziergang auch schon mal 8 statt 4 Stunden.

Denn anders als viele Vorurteile lauten, lassen sich die besagten Politiker häufig in Marxloh blicken, „was viele nicht wissen: Sören Link ist sogar gebürtiger Marxloher, deshalb kennt er sich hier auch so gut aus.“ Und sich in Marxloh gut auskennen, das heißt eben auch die Probleme zu kennen, die es hier gibt. Die will auch Lindner nicht leugnen.

Vieles ist auch sehr offensichtlich, wie die wilden Müllkippen beispielsweise. Claus Lindner diskutiert oft mit den Leuten, auch über politisches. Vieles kann er nachvollziehen, vieles möchte er auch direkt umsetzen und ändern. Aber wie so oft in der Politik sei es auch eine Frage der Zuständigkeiten. Was die Bundespolitik beschließe, das könne die Kommunalpolitik so leicht nicht retten.
„Als Politiker kriegst du das natürlich alles ab. Aber ein dickes Fell darf man nicht haben. Das ist das Schlimmste, was dir passieren kann. Ein dickes Fell heißt nämlich, dass die Sachen nicht zu dir durchdringen.“, beteuert Lindner.  Dass er sich die Stadtteil-Probleme zu Herzen nimmt, das wissen auch die Marxloher und schenken ihrem Bezirksvertreter daher Vertrauen. „Wählen gehen aber nicht mehr so viele“, beschreibt Lindner die Sorge des Politikers. „Die Wahlbeteiligung in Marxloh lag bei der letzten Wahl unter 11 Prozent, davon vielen über 34 Prozent der Stimmen auf die AfD. Diese Zahlen, die sind schon besorgniserregend.“

Politische Forderungen schlagen aber selbst bei Lindner nicht immer ein. „Wir fordern immer beste Bildung“, erzählt er, „aber ich wäre ehrlich gesagt schon froh, wenn wir eine ordentliche Bildung hier hätten.“ Nicht aus jedem Kind könne man einen Akademiker machen. Diese Werbeplakat-Geschichten, die holen in Marxloh eben nur wenige ab. „Wir brauchen auch den ganz normalen Arbeiter und davon brauchen wir eine Menge“, so Lindner. Und wenn dann die Zweitklässler in der Schule Geige lernen sollen, weil ein Fördertopf das gerade vorsieht, dann platzt auch ihm schon mal der Kragen. „Zuerst brauchen die mal was Anständiges in der Brotdose.“ Warum die SPD sich über die Jahre von diesem Arbeiterbild entfernt hat, das versteht Lindner auch nicht. „Da brechen wir uns auch keinen Zacken aus der Krone, weil das sind ja unsere Wurzeln“, erinnert Lindner an die Anfänge der Sozialdemokratie.

Gerade in seinem Alltag als Kommunalpolitiker lohne sich da oft der Perspektivwechsel, da müsse man auch mal aus seiner Welt schlüpfen, um die Lebensrealität der anderen zu verstehen. Sein Rezept gegen die Politikmüdigkeit in seinem Stadtteil: „Wir müssen unsere Sozialdemokratie mal wieder zu den Wurzeln führen, zur Solidarität. Zusammenhalten!  Auch mit Leuten, die nicht genauso solidarisiert sind wie wir.“ Bei Lindner klingt das ganz einfach, aber dass wir da vor einer Mammutaufgabe stehen, die sich nicht durch einen nachmittäglichen Spaziergang lösen lassen, das weiß er auch.

Wenn die Gäste gehen, dann lassen sie ihre Vorurteile meist da

Wir beginnen unseren Streifzug durch Marxloh. Die Brautmodenmeile streicht Lindner direkt von der Liste. „Die ist nur was für Touristen“, sagt er. Unser Weg führt durchs Zuwanderungsviertel, immer wieder vorbei an wilden Müllkippen. Die seien ein tatsächliches Problem, so Lindner, sobald er oder andere Bürger diese melden würden, würde die Stadt aber auch Abhilfe schaffen. Es klingt wie ein Paradox, „aber Müll hat immer was mit Armut zu tun“. Das sei ein Phänomen, was man überall auf der Welt antrifft. Und es bietet auch politischen Zündstoff. „Die Leute hier sehen: Meine Straße ist verdreckt. Das sind eigentlich Kleinigkeiten. Das reicht dann aber schon aus, um zu sagen: Unsere Welt geht unter. Weil die leben natürlich auch in ihrer Bubble.“

Weiter gehts. Lindner grüßt hier und da, hebt winkend die Hand, wechselt ein paar Sätze, die Leute kennen ihn und er kennt sie. Der Dreck auf den Straßen steht im Kontrast zu der Freundlichkeit der Leute und den Hintergrundgeschichten, die Lindner zu berichten hat. Über jede Ecke kann er eine Geschichte erzählen, wir schauen in heruntergekommene Hauseingänge, Brachgelände, vorbei an der bestens abgesicherten Trinkhalle Deutschlands, zertretene Fassaden, davor schimmelnder Möbelmüll auf Privatgelände, in Sichtweite der gutbürgerliche Garten hinterm Haus mit Gründerzeitfassade. Da fehlt dann nicht mal der Gartenzwerg. Die hübschen Fassaden und ruhigen Gärten werden immer häufiger. Rund um den Jubiläumshain wird es ganz beschaulich. „Das ist das eigentliche Marxloh“, so Lindner. „Wenn man über Marxloh spricht, dann immer über den Bereich, der rund ums Pollmannkreuz ist. Aber das, wovon man spricht, das macht ungefähr 20 Prozent des Stadtteils aus.“ Aber selbst diese 20% sind Teil von Lindners Heimat, für die er viele warme Worte findet. Für die Zukunft stellt er positive Prognosen auf. „Um was zu verändern, braucht man die Jugend, und von der haben wir hier genug.“ Damit die Jugend nicht alleine da steht, braucht es Leute wie Lindner, die mit Glaube, Hoffnung und unbändigem Engagement Brücken schlagen und Hilfe leisten.

Auf der Straße treffen wir Werner, kurze Begrüßung, Wortwechsel, „hab deinen Beitrag auf Facebook geteilt“, „ hab ich gesehen“, „danke“. Zuhause schaue ich nach, was Lindner da geteilt hat, es wird Chaplin zitiert: „Nur wer Böses will, braucht Macht, für alles andere reicht Liebe.“

Liebe für die Menschen, die hier leben, diese Liebe, die spricht aus Claus Lindners Worten. Um hier was zu bewegen, braucht er vielleicht kein Parteibuch, sagt er, hat es aber aus Überzeugung. Und so ist er vielen Genossinnen und Genossen ein Beispiel dafür, wie gute Kommunalpolitik und wie Integration gelingen kann.