NRWSPD vor Ort: Drei Jahre nach dem Corona-Ausbruch im Tönnies-Werk: Wie hat sich die Fleischbranche im Kreis Gütersloh verändert?

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»Wir werden diese Branche verändern. Das steht fest.« Nach dem Corona-Ausbruch in seinem Werk kündigt Clemens Tönnies einen Paradigmenwechsel in der Fleisch-Branche an. Drei Jahre später sprechen wir mit Beteiligten vor Ort und fragen, was davon geblieben ist.

 

Es gibt Städte, die man nahezu zwangsläufig mit dort ansässigen Unternehmen verbindet. Wolfsburg, die Autostadt. Oder Leverkusen, die Heimat eines mächtigen Chemie-Riesen.

Ob Rheda-Wiedenbrück schon vor dem Corona-Ausbruch im größten Schlachtbetrieb Deutschlands mit dem Fleischgiganten Tönnies verbunden wurde? Zumindest in Rumänien, Bulgarien und einigen Gegenden Polens soll das der Fall gewesen sein. Rheda-Wiedenbrück sei dort bekannter als Berlin, so erzählt man es sich im Kreis Gütersloh.

Mehr als 20.000 Menschen sind hier in Ostwestfalen direkt oder indirekt in der fleischverarbeitenden Industrie beschäftigt. Der Anteil derjenigen, die aus Rumänien, Bulgarien oder Polen kommen, um in der Produktion zu arbeiten, soll dem Vernehmen nach bei rund 80 bis 90 Prozent liegen. Sie schlachten die Tiere, verarbeiten sie zu Wurst und Grillgut, reinigen die Produktionsstätten oder transportieren die Abfälle in großen Lastwagen ab. Um die strengen Hygienebestimmungen einzuhalten, arbeiten die meisten von ihnen bei Temperaturen um die vier bis sechs Grad. Gezahlt werde selten mehr als der Mindestlohn. Der Umgangston sei rau. Überstunden seien oftmals die Regel, so berichten es Kenner*innen der Branche.

Lange wurde der fleischverarbeitenden Industrie nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ging es um Nachhaltigkeit, standen eher Tierwohllabel oder Fragen zur ökologischen Landwirtschaft im Mittelpunkt. Das, was hinter verschlossenen Türen in den Schlachtbetrieben und Verarbeitungswerken passierte, interessierte die breite Öffentlichkeit kaum. Zumindest bis zum Frühsommer 2020.

 

Corona-Ausbruch und die großen Ankündigungen von Clemens Tönnies

Clemens Tönnies steht am 20. Juni 2020 vor seiner Firmenzentrale in Rheda-Wiedenbrück. Vor ihm sind zahlreiche Kameras aufgebaut. Große Nachrichtensender unterbrechen ihr Programm. Die Augen der pandemiegeplagten Republik sind auf ihn gerichtet.

Die Tönnies-Konzernzentrale in Rheda-Wiedenbrück. An mehr als 30 Standorten produziert der Konzern in Europa. Bild: NRWSPD

Nachdem Ende Januar 2020 der erste Corona-Fall in Deutschland nachgewiesen wurde und im März der erste Lockdown folgt, scheint die Pandemie zum Beginn des Sommers zunächst überwunden. Die 7-Tage-Inzidenz war Anfang Juni fast flächendeckend einstellig. Kinder können zurück in die Kita. Die Gastronomie unter Auflagen wieder öffnen.

Doch dass die Pandemie längst nicht überstanden ist und das Virus wie ein Bumerang in den Lebensalltag der Menschen zurückkehrt, spüren die Menschen, als sich die Meldungen über einen Massenausbruch im Tönnies-Werk kurz vor den Sommerferien mehren. Die Inzidenz im Kreis Gütersloh steigt schnell auf über 250. Mehr als 1.000 Tönnies-Beschäftigte wurden positiv auf das Virus getestet, so berichtet es der Krisenstab in Gütersloh. Die Rückverfolgung der Infektionsketten und die Benachrichtig der positiv getesteten Beschäftigten gestalte sich jedoch schwierig. »Das Vertrauen in Tönnies ist gleich null«, erklärt der Krisenstabsleiter Thomas Kuhlbusch auf einer Pressekonferenz. Die Wut ist ihm anzumerken, als er schildert, wie sich die Behörden Adresslisten der Beschäftigten in regelrechten Razzien verschaffen mussten.

Tönnies schwieg lange zu den Vorwürfen. Doch die Aussagen von Kuhlbusch müssen ihn getroffen haben. Denn wenige Stunden nach der Pressekonferenz des Krisenstabs, steht er da, vor der Firmenzentale in Rheda-Wiedenbrück und vor den zahlreichen Kameras.

Tönnies bittet an diesem frühen Montagabend um Entschuldigung. Er stehe »in voller Verantwortung«. Es ist ihm anzumerken, wie sehr er bemüht ist, als reumütiger Familienunternehmer aufzutreten. Es würde ihn »besonders hart treffen«, dass der Krisenstab kein Vertrauen mehr in sein Unternehmen habe. Er rechtfertigt sich, dass es ihm die datenschutzrechtlichen Einschränkungen der Werkverträge nicht erlauben würden, mehr als den Namen, das Geschlecht und das Geburtsdatum der Beschäftigten zu erfassen und er somit keine weiteren Daten an den Kreis Gütersloh übermitteln könne.

Persönliche Konsequenzen zieht Tönnies nicht. Aber darauf angesprochen, kündigt er bei diesem Pressestatement an, »diese Branche zu verändern«. Das sei für ihn »nicht nur eine Erkenntnis aus der Pandemie«, sondern etwas, was er »schon länger« vorhabe.

 

Fehlendes Vertrauen in Tönnies`-Ankündigungen

Als »Branchenkoordinatorin Fleischindustrie« beim DGB-Beratungsnetzwerk »Faire Mobilität« kennt Anna Szot die Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche. An 13 Standorten ist das Faire Mobilität bundesweit tätig, um Beschäftigten aus mittel- und osteuropäischen EU-Staaten bei der Durchsetzung von gerechten Löhnen und fairen Arbeitsbedingungen zu helfen.

»Es wurden schon verschiedene Eigeninitiativen angekündigt, um die Bedingungen in der Fleischbranche zu verbessern«, weiß Szot, die in Rheda-Wiedenbrück seit 2019 Tönnies-Beschäftigte berät. 2014 unterzeichneten 63 große Unternehmen den »Verhaltenskodex Fleischwirtschaft«, unter ihnen auch die Tönnies Holding. Im September 2015 folgte eine Selbstverpflichtungserklärung von sechs Branchenriesen, die vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel initiiert wurde. Tatsächliche Verbesserungen für die Beschäftigten im Tönnies-Werk hätten beide Initiativen nicht hervorgebracht, meint Szot und begründet: »Die Erfahrung zeigt, dass es Gesetzesänderungen braucht, um tatsächliche Verbesserungen herbeizuführen.«

Auch Alexandru Zidaru vertraut nicht auf die selbstauferlegten Regelungen und Kontrollen des Marktes. »Die bisherige Erfahrung der Gewerkschaften verdeutlichen, dass man sich auf die losen Versprechungen von Clemens Tönnies und anderen Fleischindustriellen nicht verlassen sollte«, antwortet der NGG-Gewerkschaftssekretär mit Blick auf die Ankündigungen Tönnies` die Branche zu verändern. Die Vergangenheit habe bewiesen, »dass die Arbeitswelt nur durch Tarifverträge, Gesetze und Kontrollen ein Stück humaner wird.«

Anna Szot arbeitet seit 2019 als Branchenkoordinatorin Fleischindustrie beim DGB-Netzwerk »Faire Mobilität«. Bild: NRWSPD

Bessere Arbeitsbedingungen dank Heils Gesetzesinitiative

Dennoch sind sich Szot und Zidaru einig, dass es den Beschäftigen in Rheda-Wiedenbrück heute besser gehen würde als im Jahr des Corona-Ausbruchs.

Verantwortlich hierfür seien aber nicht die Ankündigungen von Tönnies, sondern das von Arbeitsminister Hubertus Heil geschaffene Arbeitsschutzkontrollgesetz, das im Januar 2021 in Kraft getreten ist. Es verbietet den Einsatz von Werkverträgen in den Bereichen Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung. Zugleich schränkt es den Einsatz von Leiharbeit massiv ein. Um die Bedingungen in den Produktionen zu verbessern, enthält das Gesetzt eine Reihe von Maßnahmen, welche die Einhaltung bestehender Arbeitsgesetze verbessern soll. Hierzu gehört unter anderem die verpflichtende Einführung der elektronischen Arbeitszeiterfassung sowie eine Verdoppelung der Geldbußen bei Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz. Das Gesetz sei auch ein Durchsetzungserfolg der Gewerkschaft NGG und von »Faire Mobilität«, meint Zidaru. Gerade das gewerkschaftliche Engagement vor den Betrieben der Fleischwirtschaft und die öffentliche Thematisierung der Missstände habe zur politischen Einflussnahme beigetragen. Dennoch mahnt der 41-jährige Gewerkschaftssekretär weitere Verbesserungen an, da es nicht alle Beschäftigte in der Fleischindustrie berücksichtigt. So würden beispielsweise heute noch in den Bereichen der Reinigung oder Kommissionierung Angestellte weiterhin in Werkverträgen bei unseriösen Subunternehmen arbeiten.

Der Schwerpunkt ihrer Beratungsarbeit habe sich seit der Einführung des Gesetzes in Rheda-Wiedenbrück gewandelt, berichtet Szot. »Die Beschwerden über nicht gezahlte Löhne oder über Überstunden, die auf den Lohnabrechnungen schlicht nicht auftauchen, gibt es nicht mehr in der Masse.« Durch das Verbot der Werkverträge hätte man nun feste Kontakte bei Tönnies und könne mit ihnen einige Konflikte und Fragen einvernehmlich klären. Allein die Kontaktaufnahme mit den Sub-Unternehmen, bei denen die Werkvertrags-Angestellten zuvor beschäftigt waren, sei schon schwierig gewesen. Oftmals blieb den Beschäftigten nur der Klageweg, den die wenigsten aufgrund von Sprachbarrieren, finanziellen Hürden und ungewissen Erfolgsaussichten gegangen seien.

 

Alles gut in der Tönnies-Welt?

Das Arbeitsschutzkontrollgesetz habe für einen menschlicheren Rahmen gesorgt, meint Zidaru, der selbst rumänische Wurzeln hat: »In der Fleischbranche gibt es aber noch immer viele Methoden, um Druck auf die Angestellten auszuüben.« Prämienzahlungen würden nach der Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage berechnet. Das Arbeitsklima sei oftmals abhängig von den Launen und selbstaufgestellten Regeln der zuständigen Vorarbeiter*innen. Zudem gebe es nach wie vor große Probleme bei der Unterbringung der südosteuropäischen Beschäftigten, weiß der NGG-Gewerkschaftssekretär.

Schon beim Corona-Ausbruch im Tönnies-Werk gingen die Bilder der Unterkünfte durch die Medien. Um weitere Infektionen zu vermeiden, wurden die Häuser mit Bauzäunen umstellt. Auf den Bildern wirkte es, als würden die Infizierten eingesperrt. Nicht selten mussten sie sich zu viert oder zu fünft ein Zimmer teilen. Verpflegung erhielten sie von Mitarbeitenden des Katastrophenschutzes, die in weißen Ganzkörper-Overalls Verpflegungspakete über die Zäune reichten.

Nachdem die Sat.1-Reportage »Inside Tönnies 2« zuletzt erneut Verstöße bei unrechtmäßigen Kündigungen sowie Missstände im Bereich der Hygiene und Unterkünfte offenbarte, verteidigte sich Clemens Tönnies` Sohn Maximilian gegenüber der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, dass das Unternehmen allein im vergangenen Jahr rund 30 Millionen Euro in die Unterkünfte investiert habe. Dass sich die Wohnraumsituation insgesamt gebessert habe, wird auch in der Sat.1-Reportage attestiert. Ein Teil der Unterkünfte sei saniert worden. Auch würden Zimmer nur in absoluten Ausnahmefällen mit mehr als zwei Personen belegt. Die Mieten seien jedoch weiterhin recht hoch. Beschäftigte müssten mehrere hundert Euro für ein Bett in einem Zweibettzimmer zahlen. Zudem gebe es noch immer Unterkünfte, deren baulicher Zustand katastrophal ist, so ist es der Reportage zu entnehmen. Regelungen hierfür sieht das Arbeitsschutzkontrollgesetz derzeitig nicht vor.

Die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt würde die Beschäftigten zudem nahezu dazu zwingen, in die Unterkünfte von Tönnies zu ziehen. Zwar seien die Arbeits- und Mietverträge voneinander entkoppelt. Dennoch verfügt Tönnies über rechtliche Instrumente, ehemaligen Beschäftigte nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses die Wohnung zu kündigen, beispielweise wenn der Wohnraum für neue Angestellte benötigt wird, so schildern es Arbeitnehmervertreter*innen.

 

Moderne Barracken in Gütersloh

Gütersloh ist eine vergleichsweise wohlhabende Stadt. Die Millionärsdichte ist hoch, die ansässigen Firmenzentralen eines internationalen Medienkonzerns und eines großen Herstellers von Haushaltsgeräten sorgen für sprudelnde Gewerbesteuereinnahmen.

Dass der Wohlstand längst nicht überall ankommt, zeigt sich nördlich der Innenstadt im Stadtteil Blankenhagen. »Von zehn Grundschulkindern haben hier neun einen Migrationshintergrund«, berichtet Volker Richter. Der 58-jährige Sozialdemokrat kennt die Probleme in Blankenhagen, hat hier bei der Kommunalwahl 2020 kandidiert. Jetzt steht er vor einem maroden fünfstöckigen Gebäude mit Flachdach. In ihm wohnen 105 südosteuropäische Arbeiter*innen, wie sich anhand der angeklebten Zettel neben den Klingeln ablesen lässt. Bis zu sieben Menschen wohnen in einem Apartment, die meisten von ihnen arbeiten im Tönnies-Werk, weiß Richter. Dass die jährlichen Investitionen des Fleischgiganten hier noch nicht angekommen sind, lässt sich unschwer am Zustand des Hauses erkennen. Tauben picken Löcher in die bereits zerfetzten blauen Müllsäcke, die neben den längst überfüllten großen Abfallcontainern liegen. Es dauert nicht lange, bis Richter bemerkt wird. Eine junge Frau mit gebrochenem Deutsch gibt sich als Mitarbeiterin aus und bittet ihn bestimmt, das Gelände zu verlassen.

105 südosteuropäische Arbeiter*innen wohnen in dieser Unterkunft in Gütersloh-Blankenhagen. Bis zu sieben Personen wohnen in einem Appartment. Bild: NRWSPD

Richter engagiert sich seit 28 Jahren im Rat. Seit 2014 ist er Vorsitzender des Sozialausschusses, dem Jahr der Ausweitung der europäischen Arbeitnehmendenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien. Die Auswirkungen sind in Gütersloh unmittelbar zu spüren. Menschen aus Rumänien und Bulgarien machen inzwischen fast fünf Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Tendenz weiter steigend. Die meisten würden im Nachbarort bei Tönnies arbeiten, sagt Richter. Die Zahl der Menschen, die in der Kreisstadt leben, ist seit 2014 um mehr als sieben Prozent gestiegen. Doch die Stadt ist nicht im selben Tempo gewachsen. Der Wohnungsmarkt ist umkämpft. Zwölf der 17 städtischen Grundschulen werden in den kommenden Jahren ausgebaut.

Volker Richter (58) ist Vorsitzender der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Gütersloh und des Sozialausschusses. Bild: NRWSPD

»Die Stadt war an vielen Stellen einfach zu langsam«, meint Richter mit Blick auf die Entwicklungen seit 2014. Gleich im ersten Jahr seiner Amtszeit als Sozialausschussvorsitzender hat er einen runden Tisch einberufen. Eine Austauschplattform, in der örtliche Politiker*innen, Mitarbeitende der städtischen Verwaltung, die Arbeitgeberseite und Sozialverbände die Auswirkungen des Zuzugs aus Südosteuropa in den Bereichen Bildung, Wohnen und Sprachförderung diskutieren. Man habe damals schon absehen können, dass nicht nur Arbeitskräfte, sondern auch immer mehr Familien kommen, meint Richter rückblickend.

Die meisten Menschen sind in Gütersloh nicht gut auf Tönnies zu sprechen. Einigen wurde 2020 nach dem Corona-Ausbruch in ihren Unterkünften der Sommerurlaub storniert, aus Angst vor Infektionen. Andere machen Tönnies für die sozialen Konflikte in der Stadt mitverantwortlich.

Fünf große, marode Massenunterkünfte gebe es noch in Gütersloh, berichtet Richter. Kontrollen der Wohnungsaufsicht seien schwierig, da der Zugang zu Immobilien nur unter bestimmten Bedingungen gestattet sei.

 

Kontrollen reichen derzeit nicht aus

Die Zahl der Arbeitskräfte im Tönnies-Konzern soll Medienberichten zufolge alleine in Deutschland bei über 16.000 liegen. Die Schätzungen über die Anzahl der Beschäftigten in den Tochtergesellschaften variieren im vierstelligen Bereich. 2021 lag der Umsatz des Tönnies-Konzern bei über sechs Milliarden Euro. Die 30 Millionen, die Tönnies nun jährlich in den Wohnraum der Beschäftigten investieren möchte, wirken im Anbetracht der eklatanten Zustände wie der berüchtigte Tropfen auf den heißen Stein.

Richter macht sich Sorgen um das Zusammenleben in seiner Stadt. Hier und da drohe die Stimmung zu kippen. Er wünscht sich, dass sich Tönnies mehr bei der Integration der Arbeitskräfte einbringt. »Er macht mit jeder Arbeitskraft Gewinn. Dann kann er zumindest Sprachkurse anbieten und uns als Kommune mit dieser Herausforderung nicht alleine lassen«, findet der Sozialpolitiker. Und er wünscht sich mehr Kontrollen. Nicht, um die Beschäftigten zu drangsalieren, wie er sagt. Sondern um zu zeigen, dass der Rechtsstaat auch im Hinblick auf die Ausbeutungsmaschen der Fleischindustrie funktioniere.

Auch Szot vom DGB-Beratungsnetzwerk »Faire Mobilität« wünscht sich mehr Kontrollen. »Wir brauchen mehr staatliche Organe, die hingucken. Die gibt es einfach zu wenig.« Ein Problem sei dabei auch die Größe des Tönnies-Werks. »Wenn Kontrolleur*innen vorne auftauchen, wissen die hinten im Werk gleich Bescheid. Mit dem derzeitigen Aufwand ist das Werk schlicht nicht zu kontrollieren.«

NGG-Gewerkschaftssekretär Zidaru arbeitet weiter daran, Arbeitnehmendenstrukturen bei Tönnies aufzubauen. Zwar gebe es einen Betriebsrat, der nach der Übernahme der tausenden Werkvertragsbeschäftigten Anfang 2022 gewählt wurde, jedoch sei die Fluktuation hoch. »Die Menschen haben Angst, mit uns gesehen zu werden. Und da kommst du mit deinen Argumenten für einen Gewerkschaftseintritt schnell an deine Grenzen«, berichtet Zidaru aus der Praxis. »Die Menschen arbeiten in einer Ausbeuterstruktur. Und hier muss der Staat zeigen, dass es mächtiger ist als die Ausbeuter.« Dennoch würde sich der Kampf lohnen, findet der Gewerkschaftssekretär. Die erfolgreich durchgeführten Tarifverhandlungen bei den Tönnies-Konkurrenten Vion und Westfleisch hätten zu deutlichen Lohnerhöhungen geführt und ehemalige Werkvertrags-Beschäftigte in das bestehende Tariflohnsystem integriert. Ein Erfolg für die Gewerkschaften und für die zehntausenden südosteuropäischen Beschäftigten in der deutschen Fleischindustrie.