160 Jahre wird die SPD im Mai alt. Eine lange und ereignisreiche Geschichte – ihre Zukunft will gestaltet werden. Zwei Mitglieder erzählen uns von ihrer Beziehung zur sozialdemokratischen Partei und davon, was für sie in dieser Partei zählt. Der eine hat 60 Jahre SPD-Geschichte miterlebt. Die andere will die Zukunft der Partei mitgestalten.
„Wer die Zukunft meistern will, muss an der Vergangenheit schnuppern“, erklärt Karlheinz Rauhut zwinkernd zu Beginn des Gesprächs. Und von der Vergangenheit der SPD hat er immerhin 60 Jahre miterlebt. 1963 ist er in den OV Ickern eingetreten, später ist er nach Habinghorst gewechselt. Er war Kassierer, Schriftführer, Bildungsobmann, Vorsitzender und lange Jahre Ratsherr im Stadtrat Castrop-Rauxel. Seine große Lehre: „Kein Mensch liest ein Parteiprogramm!“
Lisa Fullert muss lachen, als er das sagt. Die Kreisverbandsvorsitzende der Jusos Recklinghausen sitzt neben Karlheinz in seinem Wohnzimmer in Castrop-Rauxel. Auch wenn die beiden sich bisher noch nicht kannten, haben sie schnell einige Gemeinsamkeiten gefunden. Denn beide sind über die Gewerkschaft in die SPD gekommen. Und beide haben Bezug zum Bergbau, denn Lisas Opa hat genau wie Karlheinz auf dem Pütt gearbeitet. Gute Voraussetzungen für einen gemeinsamen Blick auf die Vergangenheit und Zukunft der SPD.

„Viele Dinge, die heute selbstverständlich sind, sind nicht vom Himmel gefallen“, erklärt Karlheinz Rauhut. Viel zu selten sei den Menschen bewusst, dass viele Errungenschaften, die unsere Gesellschaft heute prägen, von der SPD oft gemeinsam mit den Gewerkschaften hart erkämpft wurden. Ein Beispiel sei das Bildungssystem, zu dem er eine besondere Beziehung hat.
Mit 14 Jahren ist der heute 85-Jährige von der Volksschule abgegangen, um eine Lehre im Bergbau zu machen. Nur so hatte er Anrecht auf eine der geräumigen Zechenwohnungen. Mit etwas mehr als 4 D-Mark Schichtlohn wurde er zum Haupternährer der Familie. Dass sich das Bildungssystem seit seiner Jugend verbessert hat, ist ein Verdienst der SPD. Und in Karlheinz‘ Fall hatte die Partei auch direkten Einfluss auf seine Bildung: „Ich habe in der SPD gemerkt, dass ich mit allen Akademikern diskutieren kann.“
Chancengleichheit im Bildungssystem, die Vermögensfrage, soziale Klimapolitik – der Geburtstag der SPD ist für Lisa ein guter Anlass, um in die Zukunft der Partei zu schauen: „Ich glaube, dass die SPD gerade an einem Punkt ist, an dem sie viel Veränderung braucht – gerade auch bei uns in NRW. Und ich glaube, dass es gerade jüngere Menschen sind, die diese Veränderung antreiben können.“ So setzten die NRWJusos wieder stärker auf die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, was auch Karlheinz anerkennend befürwortet.
Lisa fährt fort: „In der Gewerkschaft waren sehr sehr viele Menschen auch in der SPD und so bin ich dann auch eingetreten. In der SPD musste ich dann feststellen, dass gar nicht mehr so viele Genoss*innen auch in einer Gewerkschaft sind“, erklärt Lisa, sie ergänzt: „Bei uns in der Partei ist dieser direkte Bezug zur Gewerkschaft verloren gegangen. Vielleicht auch, weil der Fokus nicht mehr so stark auf dem Thema Arbeit liegt.“ Dass die Gewerkschaften und der enge Draht zu den Arbeitnehmenden für die Politik jedoch enorm wichtig sind, weiß auch Karlheinz: „Veränderungen für Arbeitnehmer erkämpft man nicht mit dem Sektglas in der Hand, sondern auf der Straße.“
Ein weiteres Thema, das die Beiden beschäftigt, ist die Anwerbung neuer Mitglieder. Karlheinz hat dafür einen guten Tipp auf Lager, schließlich habe er in seiner Anfangszeit in Habinghorst 60 Neumitglieder angeworben. Seine Devise lautet: Vernetzung – er selbst ist Mitglied in 13 Vereinen, in denen er immer auch fleißig Werbung für die SPD gemacht hat. Auch die Jusos in Waltrop haben in den letzten Monaten Zuwachs erhalten. Lisa hat die Erfahrung gemacht, dass man auf die Menschen zugehen muss, um ihnen das Gefühl geben, dass ihre Themen und Probleme in der SPD Beachtung finden. Schwieriger sei es, die Mitglieder zu aktivieren, sagt die 26-Jährige: „Viele wollen nicht mehr so viel Verantwortung übernehmen in der heutigen Zeit, weil sie im Alltag schon ausgelastet sind. Man hat 1000 Sachen, die man macht. Da fehlt die Zeit.“ „Ist das nicht eine faule Ausrede?“, schaltet sich Karlheinz prompt ein. Er wünscht sich mehr Engagement in der Partei, das sei früher auch möglich gewesen. „Ich erinnere mich an die Bergleute, die zusätzlich zu ihrer Arbeit auf der Zeche ein Stück Land bestellt haben und außerdem in der Gewerkschaft und der Partei aktiv“, erklärt er.
Es sind viele gute Ideen und Ratschläge, die die Zwei in ihrem Gespräch ausmachen. Und auch auf die Frage „Was wünscht ihr der SPD zum Geburtstag?“ finden sie schnell eine Antwort. „Dass sie sich auf ihre Wurzel und ureigenen Werte besinnt“, erklärt Karlheinz Rauhut. „Mut zur Veränderung! Die SPD muss mit der Zeit gehen, um gerade auch für junge Menschen attraktiv zu bleiben“, erklärt Lisa Fullert energisch. Sie denkt kurz nach, dann ergänzt sie: „In den Generationen meiner Großmutter und Mutter gab es noch die Perspektive ,die Kinder werden es besser haben‘. Diese Hoffnung gibt es so nicht mehr. Meine Zukunft sieht eher mau aus. Die SPD muss dieses Versprechen erneuern.“ „Wir sind nicht arbeitslos geworden bei der SPD“, findet auch Karlheinz Rauhut. Es gibt genug zu tun.