Von Kerstin Griese und Jens Peick
Anfang der 2000er-Jahre war die sehr hohe Arbeitslosenquote in Deutschland Anlass für umfassende Arbeitsmarktreformen, die in der Öffentlichkeit als Hartz IV bekannt sind. Seit 2005, mit einer Arbeitslosenquote von 11,7 %, sank die Quote zeitweise auf 5 %, jetzt auf 5,4 % (Stand: Juli 2022), dennoch ist Arbeitslosigkeit eines der großen sozialen Probleme in Deutschland. So weist Nordrhein-Westfalen eine Arbeitslosenquote von 7 % und damit eine höhere als der deutsche Bundesdurchschnitt auf.
Nach zwanzig Jahren ist eine Reform der Grundsicherung mehr als nur notwendig, denn heute stehen wir neuen Herausforderungen gegenüber: Corona-Pandemie, Folgen des Angriffskriegs auf die Ukraine, immenser Fachkräftemangel, sozial-ökologische Transformationen von Wirtschaft und Gesellschaft. Um diesen Krisen trotzen zu können, benötigen wir einen starken, zukunftsfähigen und nachhaltigen Sozialstaat.
Arbeitsminister Hubertus Heil hat jetzt seinen Gesetzesentwurf für das neue Bürgergeld ab Januar 2023 vorgestellt, es unterscheidet sich von den bisherigen Hartz-IV-Regelungen deutlich.
Das Ziel ist, Respekt für die Lebensleistung von Menschen auszudrücken und mehr soziale Sicherheit in einer modernen Arbeitswelt zu schaffen. Der Umgang auf Augenhöhe soll stärker in den Fokus rücken. Die Leistungen jedes Einzelnen müssen mehr Anerkennung finden. So wird Vertrauen geschaffen.
Niemand, der in den Bezug von Bürgergeld eintritt, soll sich in den ersten zwei Jahren Sorgen um das Ersparte oder die Wohnung machen. Mit der Karenzzeit für Wohnen und Vermögen werden die positiven Erfahrungen aus der Corona-Pandemie dauerhaft gesetzlich verankert. In Krisenzeiten geben wir den Menschen Sicherheit, sodass sie sich auf die Arbeitssuche konzentrieren können.
Gleichzeitig setzt für alle Bürgergeldbeziehenden eine sechsmonatige Vertrauenszeit ein, in der Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen ausgeschlossen sind. Anschließend wird die Vertrauenszeit unbegrenzt fortgesetzt. Nur bei Verletzungen nach Ablauf der sechs Monate müssen verbindliche Mitwirkungspflichten festgehalten werden.
Im November 2019 urteilte das Bundesverfassungsgericht, die Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten bei Bezug von Arbeitslosengeld II seien teilweise verfassungswidrig. Dieses Urteil setzen wir im Bürgergeld um und regeln die Leistungsminderung neu. Unter anderem sind Kürzungen, die die Kosten der Unterkunft betreffen, ausgeschlossen.
Mit dem Bürgergeld setzten wir einen starken Fokus auf das Schaffen von neuen Chancen auf Arbeit durch Qualifizierung. Entscheidend hierfür wird die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs sein. Dadurch können Bürgergeldbeziehende eine Aus- oder Weiterbildung statt eines Aushilfsjobs beginnen, auch wenn dieser zumutbar wäre, um eine langfristige und nachhaltige Perspektive für sich selbst zu schaffen.
Darüber hinaus wird die Weiterbildungsprämie für das Bestehen berufsabschlussbezogener Weiterbildung entfristet und ein zusätzliches monatliches Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro eingeführt. Für die Teilnahme an Maßnahmen erhalten Bürgergeldberechtigte einen monatlichen Bürgergeldbonus von 75 Euro.
Für eine ganzheitliche Betreuung wird mit dem Coaching ein neues Regelinstrument geschaffen. Das Coaching ist nicht nur beschäftigungsbegleitend, sondern richtet sich auch an Menschen, die aufgrund von komplexen Problemen eine besondere Marktferne aufweisen. Das Bürgergeld legt einen Fokus auf arbeitsmarktferne Leistungsbeziehende. So soll der Soziale Arbeitsmarkt entfristet und dauerhaft verankert werden, wodurch noch mehr Menschen soziale Teilhabe ermöglicht wird. Das ist besonders für NRW wichtig, denn hier sind bereit über 16.000 Menschen im Sozialen Arbeitsmarkt und haben mit einem echten Arbeitsverhältnis nach Zeiten langer Arbeitslosigkeit endlich wieder eine Perspektive.
Noch sind die notwendigen Berechnungen zur Erhöhung der Regelbedarfe zum 1. Januar 2023 nicht abgeschlossen, aber die aktuell hohe Inflation und die Energieversorgungsprobleme machen eine Neubemessung der Regelbedarfe notwendig.
Dies sind einige Beispiele, die verdeutlichen, dass es beim neuen Bürgergeld um Anerkennung und Respekt geht. Die Mitarbeiter*innen der Jobcenter können künftig als das wahrgenommen werden, was sie sind: Vertrauenspersonen, die Arbeitssuchende unterstützen und fördern. Der Sozialstaat steht den Menschen als Partner zur Seite.