Sozialer Arbeitsmarkt: Neuanfang nach 16 Jahren

Arbeitslosigkeit ist eine Zukunftsräuberin. Je länger sie sich zieht, desto enger wird der Blick auf das, was kommt. Zu Beginn des Jahres 2019 wurde deshalb auf Initiative der SPD ein neues „Teilhabechancengesetz“ ins Leben gerufen. Menschen, die schon sehr lange arbeitslos sind, sollten wieder eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt erhalten. Etwas mehr als dreieinhalb Jahre nach Einführung lohnt sich der Blick: Was bringt der soziale Arbeitsmarkt?

Für Timo Wehberg aus Lüdenscheid hat er neue Perspektiven gebracht. Acht Jahre war er arbeitslos. Dann erhielt vor zwei Jahren eine neue Möglichkeit bei der Stadt: „Ich habe schon nicht mehr rosig in die Zukunft geschaut. Das sieht jetzt anders aus.“ Mit dem neuen Job ist er sehr zufrieden. Er lobt die gute Betreuung und auch das Zusammenspiel mit den Vorgesetzten.

Teilhabechancengesetz – Neue Chancen für 40.000 Menschen

Wehberg ist damit nicht allein. Auch nach großen Zahlen lässt sich das Teilhabechancengesetz als Erfolg bezeichnen. Im Juni 2022 wurden mehr als 40.000 Menschen in Deutschland, die zuvor über mindestens sechs Jahre ohne Berufstätigkeit waren, bis zu fünf Jahre mit dem Förderprogramm des Bundes unterstützt. Gerade für Nordrhein-Westfalen ist der soziale Arbeitsmarkt wichtig. Hier sind mittlerweile mehr als 45% der arbeitslosen Menschen länger als ein Jahr ohne Arbeit – im Bundesvergleich bedeutet das den höchsten Wert bei den Flächenländern.

Wie Wehberg hat auch dessen Kollege Karsten Schuhmacher gute Erfahrungen mit dem neuen Gesetz gemacht. Der 51-Jährige war 16 Jahre lang arbeitslos. Auch er wurde vor zwei Jahren von der Stadt angestellt. Gemeinsam mit zwei weiteren Kolleginnen arbeiten die Beiden an einem inklusiven Stadtführer, der zu Jahresbeginn online gegangen ist und wichtige Unterstützung gibt: Wo ist die Stadt bereits barrierefrei? An welchen Stellen im Stadtgebiet brauchen Menschen mit Behinderung Hilfe?

Steigerung von Lebensqualität durch Anerkennung

Schuhmacher freut sich, dass er mit seiner Arbeit anderen Menschen das Leben erleichtern kann. Aber auch für ihn selbst brachte die neue Beschäftigung etwas Gutes mit: „Die Wertschätzung, die wir hier erfahren haben, ist top.“ Über das Förderprogramm konnte er seinen Führerschein machen, jetzt hofft er darauf, die Weiterbildung zum Verwaltungsfachangestellten absolvieren zu können. „Wenn das klappt, wäre das wie ein Sechser im Lotto für mich“, beurteilt er seine neuen Möglichkeiten.

Endlich wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben – das ist das, was für Beide wirklich zählt. Mit Hartz IV sei dies nicht möglich gewesen, so Schuhmacher. Jetzt fühlt sich der gelernte Kfz-Mechaniker neu eingebunden: „Für mich ist das ganze Programm eine Steigerung von Lebensqualität.“ Wehberg bestätigt eindrucksvoll: „Ich bin jetzt in der Gesellschaft angekommen. Die Anerkennung ist unglaublich. Wenn ich sage, ich arbeite bei der Stadt Lüdenscheid, fällt den meisten erstmal die Zunge aus dem Mund – das hätten die mir gar nicht mehr zugetraut. Die meisten haben mich abgeschrieben. Für das Selbstwertgefühl und die gesellschaftliche Anerkennung ist das ein riesiger Sprung.“

Für Petra Noack, die in der Stadt den Fachdienst Rat und Bürgermeister leitet, sind solche Erfahrungen nicht nur kein Einzelfall, sondern die Regel. Sie habe durchweg positive Erfahrungen mit Förderprogrammen gemacht, die der Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen dienen: „Viele Menschen, die bei uns wieder eingestiegen sind, haben direkt im Anschluss oder aber zu einem späteren Zeitpunkt eine Stelle bei der Stadt Lüdenscheid oder einem anderen Arbeitgeber bekommen.“

Genug Zeit, um an Lücken zu arbeiten

Das Programm nach dem Teilhabechancengesetz bietet ihrer Ansicht nach mehrere Vorteile. Weil sich der Förderzeitraum über fünf Jahre erstreckt, hätten Menschen nun die Chance, geschützt ins Berufsleben zurückzufinden. Für jeden Förderfall stehe ein Budget von 3.000 Euro zur Verfügung, um Qualifizierungslücken schnell und unbürokratisch zu schließen. In persönlichen Gesprächen findet die Beurteilung ihrer Leistungen statt. Gegebenenfalls werden durch Praktika Einblicke in weitere Bereiche der Verwaltung gegeben. Insbesondere wird ein mindestens einjähriges berufsbegleitendes Coaching durch das Jobcenter durchgeführt.

„Wir als Verwaltung treffen sämtliche Vereinbarungen zusammen mit den Teilnehmern des Förderprogramms und dem Jobcenter. Damit sind alle Beteiligten stets auf demselben Stand“, erklärt Noack. Das alles ermögliche insgesamt eine intensive Vorbereitung auf den regulären Arbeitsmarkt. So ergibt sich die Chance, zeigen zu können, was man kann.

Mit dem sozialen Arbeitsmarkt kommt deshalb die Hoffnung, auch langfristig wieder ins Berufsleben einsteigen zu können – eine Hoffnung, aus der sich für die Sozialpolitik im ganzen Land eine Verantwortung ergibt: die des Nicht-Abschreibens. So zeigt der soziale Arbeitsmarkt Erfolg. Denn eine gute Nachricht gibt es für Timo Wehberg und Karsten Schuhmacher schon jetzt: Vor einer Woche konnten sie eine Vertragsverlängerung um drei Jahre unterschreiben.